Position zum Türkis-Grünen Regierungsprogramm

 

Bereits in den anderen europäischen Staaten hat es grüne Regierungsbeteiligungen gegeben (in Lettland sogar, stellten die Grünen den Premierminister*) und in Österreich passiert dies zum ersten Mal in der Republikgeschichte. Das Jahr 2019 wurde mit der durch die österreichische Öffentlichkeit bereits seit fünf Monaten erwartete Ministerienaufteilung unter den zwei Parteien verabschiedet. Die Aufteilung der Ministerien bestätigen noch einmal, dass es keinen Bruch mit der vorhergegangenen Türkis-Blauen Regierung gibt, sondern der Startschuss für eine „grün betupfte“ Weiterfortsetzung des autoritär-neoliberalen Projekts somit tatsächlich gegeben ist. So fehlt eindeutig eine konkrete Auseinandersetzung mit Fragen zur Arbeitspolitik und Soziales. Aus dem Türkis-Grünen Regierungsprogramm ist – wie erwartet – keine Diskussion zur Zusammenlegung der Sozialversicherungen, der neuen Sozialhilfe und dem 12-Stundentag erkenntlich. Wir werden Zeug*innen einer grünen Kompliz*innenschaft in der Durchsetzung neoliberaler Projekte und Programme im Interesse der Wirtschaft und zu Ungunsten der Werktätigen*, Frauen*, Jugendlichen* und Pensionierten*. Es ist klar, je enger es in der weltkonjunkturellen Konkurrenz wird, umso stärker werden die Kürzungen in den Bereichen Arbeit und Soziales. Nicht umsonst, sind die Agenden der Arbeitspolitik im ÖVP-besetzten Ministerium für Familie, Jugend und Arbeit eingezwängt und allgemein den Wirtschaftslobbyisten in die Hände ausgespielt.

Allgemein sehen wir in der Aufteilung der Ministerien, dass eine dominante ÖVP-Besetzung in den wichtigsten und Staats-tragenden Ministerien offiziell ist. Die Grünen geben sich zwar erfolgreich damit, dass sie sich das so genannten „Super“-Ministerium für Umwelt, Verkehr, Infrastruktur, Energie, Technologie und Innovation ausverhandeln konnten, doch dieser wird von einem ÖVP-Staatssekretär und einem ÖVP-besetzten Finanzministerium begleitet. Darüber hinaus steht hinter jedem/-r ÖVP-Minister*in ein Generalsekretär, den Kurz sich aus der Türkis-Blauen Regierung mitgenommen hat. Der Ausbau von Rückkehrzentren, vom Frontex sowie die Aufstockung der Polizei und die Einführung einer Sicherungshaft lassen der ersten Minister*in mit Migrationshintergrund in Österreich nicht besonders viel Spielraum. Während die unabhängige Rechtsberatung durch eine Bundesbetreuungsagentur subsidiert wird, soll eine Dokumentationsstelle für den politischen Islam eingeführt, die Deutschsonderklassen etabliert und das Kopftuchverbot bis zum 14. Lebensjahr ausgeweitet werden. Das sind eindeutig Vorhaben, die aus der Türkis-Blauen Regierung mitgenommen sind und im nun institutionalisierten und ÖVP besetzten Integrationsministerium in der Linie der Idee „Integration durch Leistung“ strukturell in die Praxis umgesetzt werden sollen.

Die hohe Anzahl von Frauen* in den Ministerien ist begrüßenswert, doch dass mit den Türkis-Blauen Kürzungen für Frauen*projekte und der Frauen*häuser und angesichts der Tatsache, dass sich Frauen*morde auch in Österreich parallel zum politischen Rechtsruck erhöht haben, es in der neuen Regierung kein Frauen*ministerium gibt, ist sehr bedenklich. Insgesamt werden die nett-grün-verzierten Klimaprojekte und abermaligen Lippenbekenntnisse zu internationalen Abkommen (Pariser Abkommen) die Klimakrise nicht in den Griff kriegen, zumal eine eindeutige Kapitalismuskritik nicht vorhanden ist. Die Fortsetzung der Türkis-Blauen Vorhaben wird insbesondere im mit der Zustimmung der Grünen vereinbarten „koalitionsfreien Raum“ eindeutig. Damit entsprechend dem sogenannten „Kompromiss-Pragmatismus“ der Grünen gehandelt werden kann, können die ÖVP in kritischen Fragen insbesondere zu Asyl und Migration, einen Initiativantrag im Nationalrat stellen und mit der Unterstützung einer FPÖ sich auch ohne den grünen Koalitionspartner durchsetzen.

Das Regierungsprogramm wurde im Bundeskongress der Grünen, welcher sich aus dem erweiterten Bundesvorstand und damit eigentlich aus den pragmatischen Kompromiss-forcierenden Befürworter*innen einstimmig bestätigt. Jenseits von der stets propagierten Basisdemokratie sind die Grünen heute weit von ihren menschenrechtsorientierten und Kapitalismus-kritischen Prinzipien entfernt, sodass sie gegenwärtig den sozialpolitischen Anforderungen der Gesellschaft nicht nachkommen können. Nach der SPÖ sind allem Anschein nach gegenwärtig die Grünen an der Reihe die Angstmache-Argumentation „Wenn wir das nicht machen, dann wird das die FPÖ übernehmen“ auszuspielen.

Wir stehen heute einer allgemeinen Wähler*innenschaft gegenüber, die unter anderem große Sorge vor einer propagierten „Flüchtlingswelle“ rechtskonservative Parteien in die Regierung katapultiert und doch die immer spürbaren neoliberalen Eingriffe in die sozialen Errungenschaften mit einer bürgerlich-liberalen Partei zu „bremsen“ sucht, welche wiederum keine Veränderung erzielt, sondern die Situation „vermeintlich etwas erträglicher zu machen“ sich berufen fühlt. Damit fungieren die Grünen als Legitimator*innen der Fortsetzung des neoliberalen Diskurses und vernebeln damit den eigentlichen Durchblick hin zu einer gesellschaftlichen Veränderung. Sie werden als grüne Visitenkarte dafür verwendet, den politischen Kurs der Türkis-Blauen Politik weiter fortzusetzen. Ihre Haltung ist insofern reaktionär, als dass sie für die gesellschaftliche Re-integration in das bestehende System dient.

Die Alternative ist eine starke Opposition zu entwickeln und Haltung zu zeigen. Jeder Versuch innerhalb der Gesellschaft „Ruhe“ zu bewahren, um ja radikale Kritik und Rechenschaftsforderung „von unten“ zu verhindern gießt Wasser in die Mühlen des Bestehenden. Die Alternative ist zusätzlich außerhalb der Staatsgremien Initiativen zu entwickeln und einen Gestaltungsanspruch „von unten“ aufzubauen, anstatt das „Schicksal“ völlig in die Hände von bürgerlich-demokratisch gewählten Delegierten  zu überlassen (Delegierte Demokratie), die sich zu Formen von Oligarchien entwickeln (siehe Berufspolitiker*innen mit Gehältern von über zehnfach-Summen der Durchschnittsgehälter von arbeitenden Menschen/Wähler*innen), um strukturelle Gleichschaltung und Entmündigung „von oben“ zu forcieren. Jeglicher Glaube, den Kapitalismus „grün bändigen“ zu können ist zum Scheitern verurteilt. Jene, die glauben, Machtzentren betreten zu müssen, um „Bremsfunktionen“ zu übernehmen, werden zur Re-produktion dieser wieder absorbiert. Sie marginalisieren sich selbst und manipulieren und bremsen (!) in Wirklichkeit die Entwicklung kritischer, gesellschaftlicher Gegenbewegungen von „unten“. Sie mutieren zu Kompliz*innen des Bestehenden. Umso mehr braucht es den Aufbau und die Entwicklung einer entschlossenen und nachthaltigen gesellschaftlichen Organisation „von unten“. Insgesamt gilt es sich organisiert weiter für ein gleichberechtigtes Miteinander, ein Leben in Würde für alle in gemeinsamen Lebensräumen im Einklang mit Umwelt und Natur einzusetzen. Allen voran gilt es eine andere Form der Politik zu entwickeln, die die Existenz von alles Leben ermöglicht, ohne dass eine den anderen zum eigenen Vorteil benachteiligen muss.

zeynemarslan

05.01.2020

Fotocredit: APA/Hans Klaus Techt im Profil

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