Die ewige Furcht vor den “Türken”..?

 

Die MigrantInnen aus der Türkei bilden die drittgrößte Gruppe in Österreich. Sie sind vor über 50 Jahren als GastarbeiterInnen gekommen und haben dann vor allem mit den 1980er Jahren ihre Familien nachgeholt (Familienzusammenführung) und ihren neuen Lebensmittelpunkt in Österreich definiert. Diese MigrantInnen haben das Nachkriegs-Österreich mitaufgebaut. Sie haben jene Arbeiten gemacht, für die sich einige ÖsterreicherInnen nun mehr „zu gut“ vorkamen. Die Kinder dieser GastarbeiterInnen sind in Österreich geboren oder nachgezogen, sind hier zur Schule gegangen und leben in ihrer längst neuen Heimat unter besseren Bedingungen und Voraussetzungen wie ihre Eltern. Heute beanspruchen sie die gleichen Rechte und fordern die Gleichbehandlung. Gleichzeitig sehen es viele unter ihnen nicht mehr ein, warum sie mit der gleichen Ausbildung und den gleichen Fähigkeiten oft nicht gleichwertige Jobs und Bezahlung wie ihre autochton-österreichischen Mitmenschen kriegen können. Bevor sie „jede Arbeit machen, die sie kriegen“, wie es ihre Eltern ihrer Zeit stets gemacht haben, gehen sie lieber in Umschulungen, Weiterbildungen und schlimmstenfalls in die Arbeitslosigkeit, um dann bessere Möglichkeiten für den Wiedereinstieg zu finden. Der Ehrgeiz unter Menschen, die bisher eher benachteiligt und als die „Anderen“ kategorisiert wurden, scheint umso größer zu sein und die Diskussion um die „gläserne Decke“ aufrechter denn je.

Das auf europäischem Boden geschaffene Nationalstaatsmodell definiert die globalisierende Welt bis heute. Dieses Modell kategorisiert und hierarchisiert Menschen im institutionellen Rahmen. Dabei kriegen Menschengruppen Kategorien, wie StaatsbügerIn, MigrantIn, Flüchtling, Schutzberechtigte, AsylwerberIn etc. hierarchisch zugeteilt. Je nachdem werden ihnen seitens den Institutionen des Nationalstaates Rechte und Pflichten zugesprochen oder auch nicht. Diese Kategorisierungen bei Aufrechterhaltung der sogenannten „Privilegierten mit der StaatsbürgerInnenschaft“ erschweren ein gleichberechtigtes Zusammenleben in gemeinsamen Lebensräumen und erzeugen einige Verwirrungen innerhalb der Gesellschaft. Dass die Menschen in einer globalisierenden Welt heute noch den Begriff „die AusländerInnen“ verwenden und die Europäische Union für viele noch kein wirklicher Begriff ist, kann ebenso in diesem Zusammenhang unter die Lupe genommen werden.

Bei der Staatsbürgerlichkeit bleibt man/frau in einem bestimmten Habitus gefangen. So werden die autochton-österreichischen StaatsbürgerInnen dennoch privilegiert kategorisiert als jene, die diese Staatsbürgerlichkeit erst später bzw. in junger Vergangenheit erworben haben. Die Zweiteren scheinen sich in ihrer phönotypischen, linguistischen, ethnischen, glaubensinhaltlichen, habitualen etc. Eigenschaften stets als „Nicht-dazugehörig“ zu fühlen. Der Spruch „Sie sind mit uns, aber nicht von uns“ scheint das Bewusstsein vieler nach wie vor ausgiebig zu prägen. Diese Wechselseitigen Zuordnungen verlangen im Gegenzug die Erkundung einer Zugehörigkeit, die einem ein Maß an Sicherheit und Vertrauen gibt. Das Gefühl einer Gruppe dazugehören, hier Anerkennung, Wertschätzung und Respekt zu kriegen ist ein essentieller Bestandteil der menschlichen Persönlichkeitsdefinition und -entwicklung.

Gruppen, die in Österreich stets als die „Anderen“ kategorisiert werden, finden z.B. in der Türkei andere Anschlüsse, wo es dieses Mal sie sind, die sozusagen zu den „Privilegierten“ dazugehören (Türk-Türkisch-Sunnitisch-Muslim) und dort andere „Andere“ (KurdInnen, AlevitInnen, ChristInnen, linkspolitische Gesinnungen etc.) definieren und sich entsprechend positionieren. Der Habitus „Türkisch und Muslimisch“ zu sein und von hier aus zu performen und Rollen anzunehmen bzw. zu spielen, scheint den Menschen ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gruppe und von hier aus Sicherheit zu geben. Das ist mitunter der Grund dafür, dass auch in Österreich über die Satschüssel die türkische Politik nicht nur mitverfolgt wird, sondern täglich eine Identifizierung mit dieser stattfindet. Das ist ein transnationales Dasein, das weit über symbolische und emotionale Bezüge zur „Herkunfts-Heimat“ zu sehen ist, zumal auch von hier aus an den Wahlen in der Türkei teilgenommen und mitbestimmt werden kann.

Es gab also lange Zeit die Situation, dass die Menschen mit jüngerer Migrationsvergangenheit aus der Türkei zwar physisch in Österreich doch psychisch in der Türkei lebten. Nun ändern sich wieder die Zeiten und jene Strukturen und Ressentiments, die es in der Türkei gegeben hat und gibt, werden zwar seit Jahren mit nach Österreich gebracht, doch längst tritt ein bewussterer Umgang damit zutage. Während Vereine und andere Einrichtungen früher als eine Art „Rückzugsgebiet“ und „Vertrauenszonen“ für die „früheren“ MigrantInnen galten, wollen die Nachkommen dieser mit diesen Institutionen sichtbar werden und politisch teilhaben, sodass in Prozessen mitbestimmt und mitgestaltet werden kann, die Konsequenzen für alle Mitmenschen innerhalb der österreichischen Staatsgrenzen tragen. Diese Transnationalität, die im Rahmen einer globalisierenden Welt unumgänglich scheint, ruft bei vielen die Sorge hervor, dass sozusagen die „Türkei nach Österreich wandert“ und den österreichischen Habitus von innen auflöst.

Jahrelang wurden in den österreichischen Parteien „QuotenmigrantInnen“ als MandatarInnen aufgestellt. Diese haben ihre „Machtzonen“ betreten und von dort aus ihre „eigenen Leute“ „betreut“. Die Philosophin Gayatri Chakravorty Spivak erklärt dieses Phänomen als die „token victims“, die quasi als „verlängerte Arme des Systems zur Aufrechterhaltung der gegebenen Strukturen dienen“. Diese Menschen haben es – obwohl zu versuchen gewollt – strukturell und institutionell bedingt nicht geschafft die unsichtbaren Mauern, die es zwischen der „autochton-österreichischen Sphäre“ und der „Türkei-migrantischen Sphäre“ gibt zu durchbrechen, um von da aus eine gemeinsame Sprache zu definieren, wo bestehende Probleme jenseits „kulturell-reduktionistischer Lösungs-unorientiertheit“ landen. Nicht selten haben sich manche unter ihnen sogar dem bestehenden Habitus angepasst und islamophobe Haltungen eingenommen, um vielleicht Sympathie bei den autochton-österreichischen WählerInnenschichten zu erringen..?

Ein plastisches Beispiel zur Entwicklung einer gemeinsamen Sprache ist der Ethikunterricht an österreichischen Schulen. Dieser Unterricht wurde in den 1990er Jahren zunächst als ein Projekt versucht, um den Religionsunterricht für SchülerInnen mit „ohne Religionsbekenntnis“ aufzufangen. In diesem Unterricht wurden dann die verschiedenen Glaubensgemeinschaften, die es in der Welt gibt vorgestellt. In Wirklichkeit wäre es zu empfehlen den Ethikunterricht weiter auszubauen und diesen nicht nur (!) als einen Ersatz für den Religionsunterricht zu verwenden, sondern als eine Plattform zu sehen, in der auch die Demokratiekultur, demokratische Kommunikationskultur, Zusammenleben in Vielfalt, Diversitätsthemen etc. besprochen und gelehrt werden; und zwar für alle (!) SchülerInnen. Nicht selten werden Kinder mit der Frage konfrontiert: „Woher kommst du? …Nein, woher kommen deine Eltern?“ So kann ein derartiger Ethikunterricht für SchülerInnen einen bewussteren Umgang mit diese Art von nationalstaatlich geprägten Ressentiments entwickeln, was bedeutet, dass Generationen heranwachsen, denen die Vielfalt eine Selbstverständlichkeit und ein Begriff ist. In diesen Generationen würden auch keine verlängerten Strukturen einer AKP (türkische Regierung) in Österreich Fußfassen können und glauben, dass sie auch die österreichische Gesamtgesellschaft mit Aussagen wie „wir sind links der Mitte“ für „dumm verkaufen können“. Wir wissen genau, dass sie sich in der Türkei politisch „rechts“, „ultra-rechts“ und höchstens „rechts der Mitte“ positionieren. Und wir haben in den letzten siebzehn Jahren (AKP Regierungsmacht seit 2002) genau gesehen, wie sie die Gesellschaft in der Türkei mit ihren eindeutigen Lügen und Manipulationen für blöd verkaufen und jene, die Kritik ausüben entweder einsperren oder in die Flucht drängen.

Zusammengefasst, haben zwei Dinge keinen Platz in Österreich; Erstens, kennen wir die Ressentiments einer Erdogan-AKP, wie z.B. deren sozusagen „Auslandsarm“ UETD (Union Europäisch-Türkischer Demokraten) und die Leute, die hier Führungs- und Sprecherpositionen innehatten, die jetzt mit „neuen“ Parteien (z.B. Gemeinsam für Wien, GfW; Neue Bewegung für die Zukunft, NBZ; und aktuell: Soziales Österreich der Zukunft, SÖZ; Anm. es sind immer die gleichen Akteure, die hier fungieren) Wahlen antreten möchten. Die Jünglinge (Reformisten) von den islamistischen Parteien, die sich in den 1970er Jahren in der Türkei etabliert und erst in den 1990er Jahren die Politbühne in der Türkei richtig betreten konnten, spalteten sich von ihren Gründungsvätern (Traditionalisten) und versprachen mit dem Jahr 2002 eine „Demokratische Türkei“, um dann im Motto der Kreierung einer „religiösen und wütenden Generation“ mit allen Mitteln ein Gesellschaftsingenieurwesen zu betreiben, um wieder in den Idealen ihrer Gründungsväter zu landen. Erinnert sei an folgende Worte einer dieser Gründungsväter: „Wollt ihr, dass wir mit oder ohne Blut [vergießen] kommen?“ und die Jünglinge a la AKP haben es “ohne Blut”, ja sogar mit “demokratischen Wahlen” geschafft an die Macht zu kommen. Zweitens, gilt es den (autochton-)österreichischen Parteien zu sagen, dass sie mit ihrer im Nationalstaatsmodell-behafteten und darauf beschränkten Haltung der Aufstellung ihrer „QuotenmigrantInnentum“ an diesen Entwicklungen mitverantwortlich sind. Nun stehen wieder Wahlen an und es sind wieder diese österreichischen Parteien, die an den Türen der liberalen MigrantInnengruppen aus der Türkei (z.B. AlevitInnen) klopfen, um hier wieder ein Gegengewicht zu jenen Gruppen zu entwickeln, von denen gefürchtet wird, dass sie sogar die Scharia in Österreich etablieren könnten..?

Letztendlich gilt es zu sagen, dass Österreich in jeder Hinsicht einen Neubeginn mit neuen Menschen braucht, die das Gemeinsame und eine Zukunft, in der Wertschätzung, Anerkennung und Respekt, und nicht mehr eine spaltende und kategorisierende, sondern eine zusammenführende und gemeinsame Sprache in den Vordergrund stellen…

 

zeynemarslan.

 

Fotocredit: AUTNES

 

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