Für die aleviten österreich an Bundeskanzler Sebastian Kurz – 05.02.2019
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Sebastian Kurz,
wir schreiben Ihnen diese Email, um Ihnen unser Anliegen näher zu bringen;
Während in mittlerweile sechs europäischen Staaten (Deutschland, Frankreich, Schweiz, Vereinigte Königreich Großbritannien, Belgien, Dänemark) das Alevitentum als ein eigenständiger Glaube anerkannt ist, wird dem in Österreich keine Chance gegeben. Europaweit leben in etwa 2,1 Mio. AlevitInnen, die unter dem Dachverband der Konföderation der Aleviten Gemeinden in Europa, wo auch unsere Österreichische Föderation eingegliedert ist, organisiert.
Die Situation in Österreich unterstützt die Islamisierungsmaßnahmen in der Türkei, die mittlerweile transnationale Dimensionen erreicht hat.
Wir als aleviten österreich sind bekennende ÖsterreicherInnen, glühende EuropäerInnen und sind stolz auf die gemeinsamen Werte, die uns verbinden und möchten nicht zwangsislamisiert werden.
Im Jahre 2007 begannen unserer ersten Informationsgespräche mit dem Kultusamt zur Anerkennung unseres Glaubens. Erst 2009 konnten wir dann unseren – in Absprache mit dem Kultusamt gefertigten Antrag auf zunächst „Eintragung als religiöse Bekenntnisgemeinschaft“ einreichen. Leider erfuhren wir knapp nach unserer Antragstellung, dass jene Mitglieder unseres Wiener Ortsvereins, die mit uns gemeinsam die Statuten zur Eintragung als Bekenntnisgemeinschaft gefertigt hatten, diese mit einer anderen Betitelung zunächst formlos eingereicht haben. Sie fügten ihrer Bezeichnung das Wort “Islamisch” hinzu und das Kultusamt nahm diese Statuten in Bearbeitung. Das Kultusamt wies diese AlevitInnen zunächst auf das österreichische Islamgesetz hin. Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) erkennt bis heute die AlevitInnen als keine Muslime an. Die Islamischen-AlevitInnen (IAGiÖ) sind damals dann bis zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) gegangen und haben Recht behalten, in dem Sinne, dass es ‚den Glaubensgruppen selbst zusteht, wie sie ihren Glauben definieren‘. Letztendlich kam es zum Islamgesetz 2015.
Heute möchte das Kultusamt, mit dem wir es bereits seit zehn Jahren zu tun haben, dass wir uns den Islamischen-AlevitInnen eingliedern. Das ist eine Forderung, die wir nicht erfüllen können. Als eine unter den islamischen Regimen verfolgte und unterdrückte Glaubensgruppe, ist es für uns denkbar unmöglich, uns mit den Islamischen-AlevitInnen zu einigen.
Während sich die AlevitInnen – obwohl sie mit der Unterstützung der europäisch-alevitischen Diaspora – die islamische Vereinnahmung in der Türkei kritisieren, nicht wirklich von ihr distanzieren können, ist dem in den europäischen Staaten die Möglichkeit gegeben. Die österreichische Konstruktion eines Terminus “Islamische-AlevitInnen” erleichtert die islamische Assimilation und erschwert den emanzipatorischen Wegeinschlag der AlevitInnen in Europa.
Wir suchen den Dialog mit dem Kultusamt (Mag. Oliver Henhapel) und dem Ministerium (Mag. Florian Welzig), die sich leider nur informell mit uns treffen möchten;
Welchen Nutzen hat der österreichische Staat davon, unsere Haltung gegen eine Eingliederung ins österreichische Islamgesetz zu blockieren? Welchen Nutzen hat Österreich davon, wenn sich radikale Gruppen bilden? Zumal die Führung der Islamischen-AlevitInnen aufgrund ihrer Anlehnung auf ihre Anerkennung als Religionsgesellschaft den alleinigen Anspruch der Vertretung aller AlevitInnen in Österreich behaupten? Uns als „TerroristInnen“ beim BVT melden? Unsere Vereinseinrichtungen zu sperren drohen? Ihre Vorstandsmitglieder (die aus der Türkei unterstützt und mitfinanziert werden, was ja nicht dem Islamgesetz entspricht) heute wie jene reden, die uns jahrhundertelang verfolgt und angeschwärzt haben?
Weiters haben sich ihre Angriffe und Aussagen (Hetze im Netz) seit der Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 29.01.2019 über fake accounts in der social media weiter verstärkt. Diese sind menschrechtswidrig, frauenfeindlich und frauenverachtend:
“(…) wenn er (Seyit Riza Anm.) heute sehen würde, was du aus dem Alevitentum machst, bin ich mir sicher, dass er dich dafür getötet hätte (…)”
“(…) jetzt geht ihr so weit schon, dass ihr den Frauen Sex vor der Ehe erlaubt, weil das nach eurem Verständnis die Freiheit ist, Die meisten reden und benehmen sich schon wie Männer usw. genau diese Frauen sind oft verloren und heiraten oft deutsche Männer, wenn die überhaupt noch jemand nimmt, und die Männer werden so entmannt und sind oft Alkoholiker die so weich geworden sind, dass sie eigentlich schon tot sind, (…)” etc.
Derzeit werden in den Schulzeugnissen der Kinder statt „Islam“ IGGiÖ, also nicht mehr die Religion, sondern die zuständige Institution, eingetragen (?). Die Islamisch-Alevitische Glaubensgemeinschaft (IAGiÖ) hat mit 2015 ihren Namen auf ALEVI geändert. Das würde dann der Eintrag der alevitischen Kinder in den Schulzeugnissen sein. Für die AlevitInnen in Österreich ist das verwirrend, zumal es zigtausend AlevitInnen gibt, die sich nicht zu den IAGiÖ bekennen! Wir verstehen außerdem nicht, wie EINER EINZIGEN Strömung innerhalb einer großen Glaubensgemeinschaft, die Vertretung und Repräsentanz der Gesamtheit gegeben werden kann?
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, wir bitten um einen persönlichen Gesprächstermin, bei dem wir einen näheren Austausch mit Ihnen wünschen.
Bitten um baldige Rückmeldung.
Mit besten Grüßen,
Für den aleviten österreich-Vorstand,
Zweite Vorsitzende
Zeynep Arslan
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