Wir werden sehen wie heiß dieser Herbst werden wird…
„Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) ist eine überparteiliche Interessenvertretung unselbstständiger Erwerbstätiger mit 1,2 Millionen Mitgliedern. Der ÖGB und seine Gewerkschaften vertreten die Interessen aller ArbeitnehmerInnen gegenüber Arbeitgebern, Staat und Parteien.“ …das steht auf der ÖGB-Webseite. Laut eigenen Angaben konnten dennoch nur 32.000 Menschen österreichweit auf die ÖGB-Demo gegen die größte Teuerung und Kostenexplosion der zweiten Republik mobilisiert werden. Das Schlechtwetter allein dürfte keine plausible Erklärung sein…
Warum die Beteiligung trotz immer enger werdender existenzieller Fragen nicht höher ausfallen konnte, wird mit einigen auch miteinander verwobenen Gründen zu tun haben. Eines dieser Gründe ist es, dass die etablierten Institutionen und Strukturen seit Jahrzehnten systematisch an der Abnutzung des Klassenbewusstseins arbeiten. Viele haben längst um ihre Standpunkte innerhalb der Gesellschaft vergessen und wollen die einst erkämpften Errungenschaften und den aufgebauten Wohlstand lediglich, einzig und allein behalten, konservieren, konserv, konservativ… das ist das Gegenteil von progressiv. Dass die einst errungenen Standards und Rechte wieder zurückgenommen werden können, dürfte für einige unter uns kein Begriff mehr sein.
Seit geraumer Zeit werden wir von einer Krise in die nächste galoppiert und wir lernen gesellschaftspolitische und wirtschaftliche Entwicklungen immer mehr mit Resignation und Nüchternheit zu begegnen, vielleicht sogar in der Hoffnung, dass es die da „oben“ irgendwann irgendwie wieder richten werden. Der eins für viele als Retter inszenierte Ex-Bundeskanzler, der sich derzeit karrieretechnisch anderwertig frei herumbewegt, dürfte bald und hoffentlich andere Probleme mit der Judikatur auf sich haben. Eine Ära, die sich mit abgehobenen und realitätsfernen Polit-Manager-Figuren weiterfortsetzt, die mittlerweile die Nerven haben mit ihren abgehobenen und realitätsfernen Sparmaßnahmentipps die Bevölkerung auf das Schlimmste vorzubereiten.
Und damit kommen wir zu einem weiteren Grund für die eher niedrige Beteiligung bei der ÖGB-Demo am vergangenen Samstag. Die ÖGB konnte schon einmal viel größere Demonstrationsteilnahmen mobilisieren, so z.B. die Demo gegen den 2019 – durch die ÖVP-FPÖ Regierung beschlossenen – 12-Stunden-Tag mit über 100.000 Demonstrierenden. Damals blieb es dann aber auch dabei. Der auch damals versprochene heiße Herbst blieb aus. Ich bin mir nicht so sicher, ob – wie mittlerweile vieles andere heutzutage – auch dieser Ausfall auf die Pandemie zurückgeführt werden kann. An dieser Stelle stellt sich die Frage des Vertrauens in organisierte Strukturen der Arbeitnehmer*innen-Vertretungen prominent in den Raum. Schließlich bleiben auch dieses Mal die Führungen der ÖGB und der Sozialpartner*innen im etablierten Rahmen und wollen ein Stopp der Kostenexplosion, höhere Löhne, jedoch lediglich innerhalb des bestehenden Systems, das naturgemäß diese Krisen permanent selbst verursacht.
Wir werden sehen wie heiß dieser Herbst sein wird und wir werden sehen, wie es die ÖGB schaffen wird, das Vertrauen zumindest ihrer eigenen Mitglieder wieder zu gewinnen. Wir werden sehen, wie linke Positionen wieder zurückgenommen und verteidigt werden können, zumal diese seit einiger Zeit durch rechte Kreise vereinnahmt und missbraucht wurden und damit für weitere Verwirrung sorgen, was als Kollateralschaden zusätzlich die gewachsene Politikverdrossenheit vieler Menschen noch einmal untermauert.
Die progressiven Kräfte sind gut beraten beim Vertrauensaufbauprozess für die gemeinsame und organisierte Bewegung für politische, soziale und wirtschaftliche Rechte aktiv mitzuwirken; dabei v.a. klare und kritische Haltung zu zeigen und linke Positionen im Sinne der Interessen der Beschäftigten und Werktätigen konsequent, argumentativ und nachhaltig sowie langatmig zu vertreten.
zeynemarslan, 23.09.2022; veröffentlicht in Neues Leben am 23.09.2022