Der Fisch im Aquarium… Und wie machen wir weiter..?
Das Aquarium scheint groß. Es ist kunterbunt. Schimmert und glitzert überall.
Die Fische und Pflanzen… alles scheint überwältigend und berauschend.
Und dennoch… es ist ein Aquarium…
Wir leben in Zeiten überdimensionalen Informationsflusses. Wir haben die Möglichkeit, alle Ereignisse in der Welt innerhalb von Sekunden mitzuverfolgen. Der Wissensaustausch passiert besonders schnell und dynamisch. Nichtsdestotrotz sind die gesellschaftspolitischen Bewegungen zwar auf globaler Ebene bekannt, doch die praktischen Maßnahmen bleiben lokal und voneinander separiert. Die Welt wird Bühne für Widerstände, die auf die sozialen Ungleichheiten, Rassismen, Sexismen und Militarismen hinweisen. Warum bleibt trotz dieser intensiven politischen Widerstände bei so vielen Menschen das Gefühl der Ohnmacht zurück? Wie lässt sich dieses Gefühl erklären?
Die Hoffnung in die „Grüne Restauration“!
Im Frühling und Sommer des Jahres 2019 wurden wir Zeug*innen für massenhafte soziale Bewegungen, die sich für das Klima einsetzten. Insbesondere die jüngeren Generationen markierten die Ereignisse und wir fragten uns: Wer sind die Generationen x, y und z, die die Welt verändern wollen/sollen/werden? Letzten Endes sind unsere Diskussionen nun soweit, dass wir heute über den globalen Trend der neoliberalen Ökonomie und Politik debattieren, die sich gegenüber den ökologischen Herausforderungen unserer Zeit „sensibler“ und „bewusster“ zu verhalten vorgeben. Insbesondere in den kapitalistischen Zentren west-europäischer Staaten haben die Restaurationsideen durch die Koalitionsschließungen von rechts-konservativen Parteien und den Grünen an Boden gewonnen. Am Beispiel Österreichs erkennen wir, dass selbst jene Wähler*innen, die sich eine progressive und alternative Politik wünsch(t)en, nicht einmal mehr auf die Grünen, die letzten Reste der Ideen von 1968, bauen können. Alledem zum Trotz meinen selbst manche aufgeklärte und intellektuelle Kreise, dass ‘eine Schwarz/Türkis-Grüne-Koalition immer noch besser ist als eine Schwarz/Türkis-Blaue-Koalition‘. Sie scheinen erstmal weiter beobachten zu wollen…
Wir erleben die Restaurations- und Wiederaufbauversuche der rechts-konservativ, neoliberalen Machtzentren in der Welt. Innerhalb der ideologiegeprägten Grenzen des Narrativs der bestehenden Strukturen debattieren und diskutieren wir über die sogenannte „Freiheit“. Neben jenen, die mit der Idee „es hätte viel schlimmer kommen können“ auf ein Weltwunder warten, haben sich nun jene hinzugestellt, die durch die Angstpolitik der Eliten getriggert werden. Diese Angstpolitik wirkt insofern konsequent, als selbst die hart erkämpften demokratiepolitischen Rechte vor den Augen der und im Dulden der Öffentlichkeit beiseitegelegt und über- bzw. hintergangen werden. Selbst unter den progressiven und reflektierten Individuen scheinen diese Entwicklungen Resonanz gefunden zu haben. Jene Corona-Maßnahmen, die durch die Bundesregierung umgesetzt wurden, haben die rote Karte vom Verfassungsgerichtshof bekommen. Dennoch haben wir es erleben dürfen, wie integriert und einordnungswillig die Bevölkerung zunächst reagiert hat. Die Menschen konnten sich in einer überraschenden Schnelle an die Einschränkungen anpassen und fügen. Neben den teilweise unfassbaren Verwaltungsstrafen kamen die Vorfälle, in der Nachbar*innen bei Covid19-Verdacht einander bei der Polizei meldeten hinzu. Die Ereignisse nahmen Ausmaße an, die teilweise nicht von ungefähr an die Situationen z.B. im Nazi-Deutschland erinnerten. Schlussendlich stehen wir einer Arbeitslosigkeits- und Kurzarbeitsrate von über einer halben Million gegenüber. Die Bedeutung jener Berufe und Jobs, die für den alltäglichen Ablauf von immenser Wichtigkeit sind, rückte in das Bewusstsein der Gesellschaft. Doch schnell wurden die prekären Arbeitsverhältnisse, der Personalmangel, die niedrigen Löhne und die Empathie mit unseren Mitmenschen wieder vergessen. Kaum schien es für einen Moment möglich zu sein, dass sich soziale und schlagfertig organisierte Bewegungen zusammenraufen, sorgen die Spekulationen über die so genannte „Zweite Welle“ für Rückzug und weitgehende soziale Distanzhaltung. Erstmal will ein gesamtgesellschaftlicher „Kanon des Abwartens“ die Zeit bestimmen…
Die Pandemie, die sich von „Gehorsamkeit“ nährt…
In der Zwischenzeit scheinen die Generationen x, y und z, die sich wegen George Floyd erneut mobil und laut machten, das allmähliche Aussterben der Eisbären nicht gehört haben? Die letzte Situation der Regenwälder im Amazonasgebiet scheint auch wieder weiter in den Hintergrund der langen Liste sozialer, ökonomischer und ökologischer Probleme gerückt zu sein. Wir blicken in Richtungen, in die die Mainstream-Medien uns dirigieren und schaffen es nicht nachhaltig, langatmig und konsequent hinter unseren Forderungen zu stehen. Wir setzen auf punktuelle und rasche Erfolgserlebnisse und sind enttäuscht, wenn diese nicht bald eintreten.
Neben den ökologischen Bedrohungen und Herausforderungen hat die Pandemie einem weiteren Phänomen die Bühne entrissen. Die globalen Kriege wurden während des vermeintlichen Höhepunkts der sogenannten „Ersten Welle“ (?) auf „Standby“ geschalten. Das macht einmal mehr deutlich, dass allem Anschein nach selbst die Kriege in Urlaub geschickt werden können. Jedoch kann das gleiche von der globalen Waffenindustrie nicht behauptet werden. Schlussendlich ist auch dieser „Urlaub“ vorbei und der Nahe Osten brennt dort weiter, wo nur kurz eine Pause eingetreten war. So sind auch den Türkei-stämmigen Menschen in Österreich viele zerstörerische Szenen in der Türkei durch den täglichen Medienkonsum hautnah bekannt. Mit der Umwandlung der Hagia Sophia wurden medial Bilder überliefert, die an die Vertreibung und Massaker der letzten Pontos-Griechen in der Türkei Mitte der 1950er Jahre in Istanbul erinnern. Und die Szenen der türkisch-national-islamistischer junger Männer, die das Ernst-Kirchweger-Haus in Wien im Juni 2020 angriffen, erinnerten an das Massaker an den Alevit*innen (Glaubensgemeinschaft), das im Jahre 1993 in der ostanatolischen Provinz Sivas organisiert wurde. Beide kürzlich eingetretenen Ereignisse zeigen starke Parallelen auf. Diese Vorfälle in den Zuwanderungsländern provozieren den polarisierenden und restriktiven Politiken rechts-konservativer Staatsprojekte. Besonders geschürt werden Spaltungsprozesse auch in den europäischen Gesellschaften durch exkludierende und stigmatisierende Formen von Identitätspolitik. So stellen die Maßnahmen gegen den türkisch-nationalen politischen Islam gesamte Bevölkerungsgruppen unter Generalverdacht. Angesichts dieser Entwicklungen stehen die Menschen mit einer Migrationsgeschichte von zwanzig, dreißig bis fünfzig Jahren abermals vor der „Aufgabe“, ihre sozusagen „migrantische“ Existenz zu rechtfertigen. Gleichzeitig zeigen die geschürte Unruhe und der Unmut in der Gesellschaft, dass sich die Geschichte in diversen Weisen und Ausprägungen wiederholen kann. Die Pandemie, die sich von der Gehorsamkeit der durch die Angst um die eigene Gesundheit und das Leben ihrer Nächsten eingeschüchterten Gesellschaft genährt wird, erregt genau in diesem Licht Besorgnis über die Haltbarkeit des gesellschaftlichen Friedens…
Um nicht der Fisch im Aquarium zu sein…
Das bestehende System, dessen Teil(e) wir sind, scheint sich immer mehr durch autoritäre Maßnahmen und Praxen zu stabilisieren und zu restaurieren. Jene Versuche, das herrschende Narrativ und die bestehenden Strukturen zu ändern, bleiben weitestgehend auf punktuelle Ereignisse und lokale Räume eingezwängt. Jene kritischen und progressiven Gruppen und Kreise, die in der Praxis geradezu an Kraft, Einfluss und Durchsetzungsvermögen verloren haben, sind mit folgender Frage überfordert: „Was haben wir falsch gemacht?“ Währenddessen fährt der Zug ab und an den einst erkämpften und errungenen Rechten wird gerüttelt. Sie werden zurückgenommen. Langsam. Eines nach dem anderen…
Die Informationsflüsse über die Social-Media-Kanäle scheinen weit davon entfernt zu sein, die bestehenden Strukturen ins Wanken zu bringen. Angesichts der Äußerungen einiger auch (junger) Menschen sich „machtlos“, ja „ohnmächtig“ zu fühlen, steht vor allem jene Frage im Raum: Wie machen wir weiter? Eine Herausforderung ist entschieden, konsequent, zielorientiert und mutig die Solidarisierungsachsen von den lokalen Ebenen in die globalen und breiteren Ebenen zu tragen. Auch soziale Medien sind nur strategisch dahingehend zu benutzen und einzusetzen. Um Schritte setzen zu können, wird es unabdingbar sein die kapitalistischen Komfortzonen zu verlassen und sich kollektive Freiräume zu schaffen. Das Bestehende „avatarisiert“ die Menschen geradezu zu Konsument*innen und plagt sie mit diversen Gedanken eines „homo oeconomicus”. Sie werden in die Hände der Banken und ihren Krediten, Zinsen und überhaupt in die existentiellen Fragen geradezu erstickt. Ihre Träume und Hoffnungen sind geraubt. Ihre Seelen ausgelaugt. So gilt es in erster Linie an dieser Stelle aufzuarbeiten, aufzustehen, sich zu rütteln und praktische Schritte für eine gemeinsame Gegenwart und Zukunft zu setzen. Das ist keine nicht enden wollende und unermüdliche Praxis des gelebten Dauerwahlkampfs, in der linke Kräfte in Österreich mittlerweile seit Jahren von diversen Wahlbündnissen zu vielen Wahlkämpfen laufen und sich so fast ohnmächtig von den bestehenden fremd- und elitär-bestimmten Diskursen dirigieren und vereinnahmen lassen. Sie scheinen sich im Kreis zu drehen. Die Grundidee des zu entwickelnden Vorhabens wird auch einmal einen Wahlkampf auszulassen wissen und durch ein strategisches, mittel- bis langfristig geplantes und gedachtes Gemeinkonzept geprägt sein. Jenseits der klassischen ideologischen Auseinandersetzungen und Uneinigkeiten würde hier langfristig ein gemeinsames Narrativ entwickelt und umgesetzt werden, welches das Gemeinwohl und seine gemeinsamen Interessen umfasst. Dabei ist eine klare Perspektive abseits von ohnmächtigen und selbst-marginalisierenden Restaurationsversuchen die zentrale Voraussetzung…
zeynemarslan.
10.08.2020